Der NZZ-Artikel:
Mein ausgewählter Artikel ist auf Seite 40 des Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung vom 13.8.2013 zu finden. Auf dieser Seite folgt die Online-Version:
Amerika feiert die Bürgerrechtsbewegung: Gewaltlos zum Ziel
In den USA erinnern zahlreiche Veranstaltungen an die Bürgerrechtsbewegung, die vor 50 Jahren mit Martin Luther Kings berühmter
«I have a dream»-Rede und der Unterstützung durch Präsident Kennedy einen Höhepunkt erlebte. Eine Schau in Washington hebt das gewaltlose Engagement junger Amerikaner hervor. Ronald D. Gerste
«Ich hätte gern eine Tasse Kaffee.» Der Wunsch des 18-jährigen Ezell Blair, einer Kellnerin vorgetragen, war an sich nichts Ungewöhnliches. Am Preis wäre er schwerlich gescheitert, über die notwendigen 10 Cents verfügte Ezell ebenso wie seine drei Freunde, die gleichfalls etwas Warmes zu sich nehmen wollten. Abnormal war indes der Ort, wo die Bestellung an jenem 1. Februar 1960 ausgesprochen wurde: Es war der «lunch counter» im Woolworth der Stadt Greensboro im Gliedstaat North Carolina. Und über den eher spartanischen Sitzmöbeln der Imbissecke hing ein Schild: «Whites Only». Folglich wurden Ezell und seine gleichfalls afroamerikanischen Freunde nicht bedient, so wie junge (und ältere) Schwarze nirgendwo in den Südstaaten erwarten konnten, in einem Restaurant, einem Hotel, einem Überlandbus gleich wie ihre weissen Mitbürger behandelt zu werden oder das Lokal, die Sitzreihen mit ihnen teilen zu können.
Die Geburt des Sit-in
Ein grosser Teil der USA – jener, der exakt 100 Jahre zuvor den Bürgerkrieg verloren hatte – war «segregiert», es herrschte strikte Rassentrennung. Die verlogene Devise der gesellschaftlich und politisch in Alabama und Mississippi, in den Carolinas und Tennessee tonangebenden weissen Bevölkerungsschicht lautete «separate, but equal» – ein Hohn, denn über diese diskriminierende, demütigende Form der «Gleichheit» hätte sich jeder Weisse zu Recht empört, wäre sie auf ihn selbst angewendet worden.
Was das Vorkommnis in Greensboro so anders machte als die unzähligen tagtäglichen Akte der Rassendiskriminierung, war die Tatsache, dass die vier Studenten nicht aufstanden, sondern bis zum Schliessen der Woolworth-Filiale auf den Barhockern sitzen blieben, freilich ohne einen Kaffee zu erhalten. Am nächsten Tag waren es zwanzig afroamerikanische Studenten, und bald kam es zu ähnlichen Vorkommnissen anderenorts – das Sit-in als gewaltfreier Protest war geboren. Es konnte nur deshalb gedeihen und eines damals noch fernen Tages Erfolg haben, weil noch jemand vor Ort war: Reporter. Die Ereignisse von Greensboro und von anderen, teils gewaltfreien, teils von Polizisten niedergeknüppelten Sit-ins und anderen Protesten erreichten die Titelseiten der Zeitungen und schockierten in den Abendnachrichten des Fernsehens. «Ohne die Medien», sagt der Bürgerrechtsveteran und Kongressabgeordnete John Lewis, der im März 1965 am Bloody Sunday von Selma, Alabama, niedergeknüppelt wurde und noch heute sichtbare Narben trägt, «wäre die Bürgerrechtsbewegung ein Vogel ohne Flügel gewesen.»
Es ist somit nur folgerichtig, dass Teile des Lunch-Tresens jetzt eines der Exponate einer neuen Ausstellung im Newseum, dem der Geschichte und Gegenwart der Medien geweihten Museum auf der Pennsylvania Avenue in Washington, bilden. Unter dem Titel
«Make Some Noise» wird an den Einsatz – und verschiedentlich auch die Opfer – Jugendlicher für die Bürgerrechtsbewegung erinnert. Sie ist als Dauerausstellung angelegt und Teil eines Projekts mit dem Titel «The Civil Rights at 50» – denn 1963 kann als ein Jahr des Durchbruchs angesehen werden, aufgrund der berühmten Rede Martin Luther Kings am 28. August in Washington, vor allem aber auch wegen John F. Kennedys Fernsehansprache am 11. Juni, in der sich der bisher aus wahltaktischen Gründen zögerliche Präsident deutlicher als je zuvor auf die Seite seiner farbigen Landsleute stellte.
Zu den Dokumentaraufnahmen aus jenem bewegten Jahr, die in der Ausstellung über schwarz-weisse Bildschirme flimmern, gehören auch jene vom massiven Polizeieinsatz in Birmingham, Alabama, unter Polizeichef Connor mit dem wohl angemessenen Spitznamen «Bull». Auch hier wurden die Medien zum Katalysator. Im Fernsehen sah eine (teilweise) entsetzte Nation, wie schwarze Schüler, manche erst 14 oder 15 Jahre alt, von Hochdruckwasserkanonen von der Strasse gefegt wurden. Am nachhaltigsten indes schockierte der AP-Fotograf Bill Hudson mit seiner am 4. Mai in der «New York Times» veröffentlichten Foto, welche einen Polizeihund zeigt, der sich gerade im Bauch des Schülers Walter Gadsden festbeisst. Im Weissen Haus bemerkte Kennedy, das Bild verursache ihm Übelkeit – der Präsident war mit diesem Gefühl nicht allein.
Qualvoller Weg
1963 war ein grosses Jahr für die Bürgerrechtsbewegung, aber doch nur ein Schritt auf einem langen, oft qualvollen Weg. Im nächsten Jahr wird man im Newseum erneut ein halbes Jahrhundert zurückblicken; dann werden drei junge Männer namens James Earl Chaney, Andrew Goodman und Michael Schwerner im Mittelpunkt stehen. Ihr Schicksal wurde in «Mississippi Burning» verfilmt, ihr Opfergang half den Civil Rights Act von 1964 durch den Kongress zu bringen.
Quelle:
http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/gewaltlos-zum-ziel-1.18131634 (17.8.13)
Amerika feiert die Bürgerrechtsbewegung: Gewaltlos zum Ziel
In den USA erinnern zahlreiche Veranstaltungen an die Bürgerrechtsbewegung, die vor 50 Jahren mit Martin Luther Kings berühmter
«I have a dream»-Rede und der Unterstützung durch Präsident Kennedy einen Höhepunkt erlebte. Eine Schau in Washington hebt das gewaltlose Engagement junger Amerikaner hervor. Ronald D. Gerste
«Ich hätte gern eine Tasse Kaffee.» Der Wunsch des 18-jährigen Ezell Blair, einer Kellnerin vorgetragen, war an sich nichts Ungewöhnliches. Am Preis wäre er schwerlich gescheitert, über die notwendigen 10 Cents verfügte Ezell ebenso wie seine drei Freunde, die gleichfalls etwas Warmes zu sich nehmen wollten. Abnormal war indes der Ort, wo die Bestellung an jenem 1. Februar 1960 ausgesprochen wurde: Es war der «lunch counter» im Woolworth der Stadt Greensboro im Gliedstaat North Carolina. Und über den eher spartanischen Sitzmöbeln der Imbissecke hing ein Schild: «Whites Only». Folglich wurden Ezell und seine gleichfalls afroamerikanischen Freunde nicht bedient, so wie junge (und ältere) Schwarze nirgendwo in den Südstaaten erwarten konnten, in einem Restaurant, einem Hotel, einem Überlandbus gleich wie ihre weissen Mitbürger behandelt zu werden oder das Lokal, die Sitzreihen mit ihnen teilen zu können.
Die Geburt des Sit-in
Ein grosser Teil der USA – jener, der exakt 100 Jahre zuvor den Bürgerkrieg verloren hatte – war «segregiert», es herrschte strikte Rassentrennung. Die verlogene Devise der gesellschaftlich und politisch in Alabama und Mississippi, in den Carolinas und Tennessee tonangebenden weissen Bevölkerungsschicht lautete «separate, but equal» – ein Hohn, denn über diese diskriminierende, demütigende Form der «Gleichheit» hätte sich jeder Weisse zu Recht empört, wäre sie auf ihn selbst angewendet worden.
Was das Vorkommnis in Greensboro so anders machte als die unzähligen tagtäglichen Akte der Rassendiskriminierung, war die Tatsache, dass die vier Studenten nicht aufstanden, sondern bis zum Schliessen der Woolworth-Filiale auf den Barhockern sitzen blieben, freilich ohne einen Kaffee zu erhalten. Am nächsten Tag waren es zwanzig afroamerikanische Studenten, und bald kam es zu ähnlichen Vorkommnissen anderenorts – das Sit-in als gewaltfreier Protest war geboren. Es konnte nur deshalb gedeihen und eines damals noch fernen Tages Erfolg haben, weil noch jemand vor Ort war: Reporter. Die Ereignisse von Greensboro und von anderen, teils gewaltfreien, teils von Polizisten niedergeknüppelten Sit-ins und anderen Protesten erreichten die Titelseiten der Zeitungen und schockierten in den Abendnachrichten des Fernsehens. «Ohne die Medien», sagt der Bürgerrechtsveteran und Kongressabgeordnete John Lewis, der im März 1965 am Bloody Sunday von Selma, Alabama, niedergeknüppelt wurde und noch heute sichtbare Narben trägt, «wäre die Bürgerrechtsbewegung ein Vogel ohne Flügel gewesen.»
Es ist somit nur folgerichtig, dass Teile des Lunch-Tresens jetzt eines der Exponate einer neuen Ausstellung im Newseum, dem der Geschichte und Gegenwart der Medien geweihten Museum auf der Pennsylvania Avenue in Washington, bilden. Unter dem Titel
«Make Some Noise» wird an den Einsatz – und verschiedentlich auch die Opfer – Jugendlicher für die Bürgerrechtsbewegung erinnert. Sie ist als Dauerausstellung angelegt und Teil eines Projekts mit dem Titel «The Civil Rights at 50» – denn 1963 kann als ein Jahr des Durchbruchs angesehen werden, aufgrund der berühmten Rede Martin Luther Kings am 28. August in Washington, vor allem aber auch wegen John F. Kennedys Fernsehansprache am 11. Juni, in der sich der bisher aus wahltaktischen Gründen zögerliche Präsident deutlicher als je zuvor auf die Seite seiner farbigen Landsleute stellte.
Zu den Dokumentaraufnahmen aus jenem bewegten Jahr, die in der Ausstellung über schwarz-weisse Bildschirme flimmern, gehören auch jene vom massiven Polizeieinsatz in Birmingham, Alabama, unter Polizeichef Connor mit dem wohl angemessenen Spitznamen «Bull». Auch hier wurden die Medien zum Katalysator. Im Fernsehen sah eine (teilweise) entsetzte Nation, wie schwarze Schüler, manche erst 14 oder 15 Jahre alt, von Hochdruckwasserkanonen von der Strasse gefegt wurden. Am nachhaltigsten indes schockierte der AP-Fotograf Bill Hudson mit seiner am 4. Mai in der «New York Times» veröffentlichten Foto, welche einen Polizeihund zeigt, der sich gerade im Bauch des Schülers Walter Gadsden festbeisst. Im Weissen Haus bemerkte Kennedy, das Bild verursache ihm Übelkeit – der Präsident war mit diesem Gefühl nicht allein.
Qualvoller Weg
1963 war ein grosses Jahr für die Bürgerrechtsbewegung, aber doch nur ein Schritt auf einem langen, oft qualvollen Weg. Im nächsten Jahr wird man im Newseum erneut ein halbes Jahrhundert zurückblicken; dann werden drei junge Männer namens James Earl Chaney, Andrew Goodman und Michael Schwerner im Mittelpunkt stehen. Ihr Schicksal wurde in «Mississippi Burning» verfilmt, ihr Opfergang half den Civil Rights Act von 1964 durch den Kongress zu bringen.
Quelle:
http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/gewaltlos-zum-ziel-1.18131634 (17.8.13)
Informationen zur Ausstellung im Newseum:
http://www.newseum.org/exhibits-and-theaters/temporary-exhibits/make-some-noise/index.html